Donnerstag, 21. Juni 2012

Von der Armut des Geistes (2)


Da der zweite  Teil der Predigt 52 von Meister Eckhart  hat einige Zeit auf sich warten lassen,  stelle ich hier zuerst den Link auf den 1. Teil. 



Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat

Zum Zweiten ist der ein armer Mensch, der nichts weißWir haben manchmal gesagt, der Mensch sollte so leben als ob er nicht lebte, weder für sich selbst noch für die  Wahrheit noch für Gott. Aber jetzt sagen wir es anders und wollen ferner sagen, dass der Mensch, der diese Armut haben soll, alles haben soll, was er war, als er nicht lebte, in keiner Weise lebte, weder  für sich noch für die Wahrheit, noch für Gott; er soll vielmehr alles Wissens so quitt und ledig sein, dass selbst nicht Erkennen Gottes in ihm lebendig ist [dass er nicht erkenne, dass Gott in ihm ist].; denn als der Mensch in der ewigen Art Gottes stand, da lebte in ihm nichts Anderes: Was da lebte, das war er selbst. Daher sagen wir, dass der Mensch  so seines eigenen Wissens entledigt sein soll, wie er war, als er nicht war, und Gott wirken lasse, was er wolle, und frei dastehe, als wie er von Gott kam.


Nun ist die Frage, wovon allermeist die Seelheit [Seligkeit] abhänge? Etliche Meister haben gesagt, es komme auf das Begehren  [Lieben] an. Andere sagen, es komme auf Erkenntnis und Begehren an. Aber wir sagen, sie hänge nicht von der Erkenntnis noch von dem Begehren ab, sondern es ist ein Etwas in der Seele, aus dem fließt Erkenntnis und Begehren, das erkennt selbst nicht und begehrt nicht so wie die Kräfte der Seele. Wer dies erkennt, der erkennt, wovon die Seelheit abhänge. Dies Etwas  kennt weder ein Davor noch ein Danach, und es wartet nicht auf etwas Hinzukommendes, denn es kann weder gewinnen noch verlieren. Darum ist ihm jegliche Möglichkeit ganz und gar benommen, in sich zu wirken, es ist vielmehr immer dasselbe Selbe, das sich selbst in der Weise Gottes verzehrt  [genießt]. So, meine ich, soll der Mensch quitt und ledig dastehen, dass er nicht weiß noch erkennt, was Gott in ihm wirkt, und da kann der Mensch Armut sein Eigen nennen. Die Meister sagen, Gott sei Wesen, und zwar ein vernünftiges Wesen, und erkenne alle Dinge. Aber ich sage: Gott ist weder Wesen noch Vernunft, noch erkennt er etwas, nicht dies und nicht das. Darum ist Gott aller Dinge entledigt, und darum ist er alle Dinge. Wer nun des Geistes arm sein will, der muss an seinem eigenen Wissen arm sein, wie einer, der nichts weiß  weder Gott noch Kreatur, noch sich selbst.  Deshalb solle der Mensch nicht begehren, den Weg Gottes zu wissen oder zu erkennen.     
In diesem Sinne kann der Mensch arm sein an seinem eigenen Wissen.

Meister Eckhart


Quelle:  Meister Eckarts Mystische Schriften, hrsg. von Gustav Landauer, 1903
http://www.marschler.at/eckhart-landauer/meister-eckhart-mystische-schriften.pdf

( Sprachlich leicht verändert)




Link zu Von der Armut des Geistes (3)



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